Donnerstag, 21. Juli 2011

Wernigerode - Die Wiederentdeckung einer Liebe

Ich komme nicht mehr so oft hierher, sagte ich zu mir mit nachdenklichem Blick über die Stadt. Fast vier Monate ist es nun wieder her, dass ich am Fenster stand und auf meine Heimat sah. Es ist schwer für mich, denn mein Leben spielt sich in Berlin ab. Und so trennte ich, zwischen Heimat und Zuhause. Zwei Pole, die sich abzustoßen scheinen und nun wandle ich, je nach aktueller Ladung, zwischen ihnen hin und her.
Nun war ich also wieder da, in der Region, die mich erinnerte wie sehr ich sie vernachlässigte. Aber genau das habe ich gemacht. Die Besuche waren nur die Aneinanderreihungen von Pflichtterminen. Geburtstage, Weihnachten und die Hochschule Harz. Und diese Bildungseinrichtung hatte mich wieder in die Heimat zitiert.



Wenn ich dann wieder vor dem Fenster zur Stadt stehe und die mahnenden Worte vernehme, setzt bei mir das Abspielen der üblichen Gründe ein: viel Arbeit, Wohnung, Privatleben, keine Lust. Und ich wusste, dass nur der letzte Punkt wirklich in die Kategorie "Gründe" fiel.
Dabei ist es genau diese Stadt, die mit ihrem Charme mich jedes Mal erneut einfängt. Enge Gassen und viel Fachwerk. Wernigerode ist damit stets der Kampf zwischen Touristen und Einheimischen. Dieser Zweikampf ist mir auch in Berlin untergekommen, wenn auch in anderen Ausmaßen. In der Stadt am Harz sind es aber immer Stützstrumpfbrigarden, die in Massen über die Gehwege schleichen, dabei den Kopf in den Himmel recken und alles Schöne begutachten. Sicher, dies hat man auch in der Hauptstadt, aber in der Region um den Brocken kommen diese Gruppen nicht um schier endlose Partys zu feiern. Ab 18.00 Uhr gleicht demnach Wernigerode einer verwaisten Stadt. Nur vereinzelt trifft man anderen Menschen, aber hat auch wieder genug Freiraum seine Heimat zu genießen.

So bin ich dann auch endlich wieder meine alten Wege gegangen. Vorbei am Rathaus zum Nokolaiplatz. Am Morgen ist noch nicht so viel los, nur die erste Hochzeitsgesellschaft war schon anwesend. Das Rathaus Wernigerode ist als Kulisse für solch eine Trauung eines der besten Motive.
Nachdem ich am Nikolaiplatz angekommen bin stelle ich ein weiteres Mal fest: Als Kind war es mit dem Märchenbrunnen viel schöner. Die neue Modellierung nach Prometheus will mir bis heute nicht gefallen. Und genau dieser Gedankengang verrät schon, dass man gealtert ist. Man wird sich bewusst nun fast genauso zu sein wie seine Eltern; in der Vergangenheit hängend und alles mit ihr vergleichend.

Zur Mittagsstunde ist es wieder sehr voll in der Stadt; Touristen sind wieder ausgeschwärmt. Die Intensivkurse in Berlin machen sich aber bezahlt, denn die ganze Zeit muss man feststellen: So viel sind es doch garnicht. Den Sonnenschein genießend besuche ich stattdessen lieb gewonnene Gassen meiner Jugend. Ihr Charme wird von der Ruhe begleitet, da diese Gasse abseits des Hauptstroms auf der Westernstraße oder der Breiten Straße liegt.

Dennoch musste ich einen Abstecher machen. Seit geraumen Jahren kehre ich in eine Buchhandlung ein, deren Atmosphäre mich stets aufs neue begeistert. Eingebettet in ein Fachwerkhaus und umspielt mit der Melodie der Glocken daran, empfängt es einen mit einem schönen Blick. Jedes Mal wenn ich in der großen Hauptstadt durch einen Hugendubel ziehe, erkenne ich wie sehr man sich bemüht diese Atmosphäre zu imitieren. Einen Hauch von Vertrautheit, Nische und Familie. Und jedes Mal entsinne ich mich an diese Buchhandlung in der ich immer etwas gefunden habe. Dabei handelte es sich in den seltensten Fällen um die oberen Reihen der Spiegel-Beststeller-Liste. Es waren eher unbekannte Bücher, die nicht in Massen auslagen.
Dieses Mal war es "Wann tranken die Türken ihren Kaffee vor Wien?". Weltgeschichte in kleinen Häppchen. Genau das richtige, wenn man in Berlin immer umsteigen muss zwischen den Verkehrsmitteln und selten Zeit hat an einen Platz zu verharren.

Und nach nur wenigen Tagen ist wieder alles vorbei. Es ist schade, denn trotz allen Mäkeln über die Kleindstadtmentalität der Einwohner, der fehlenden Möglichkeiten und langen Distanzen in größere Städte ist es ein inspirierender Ort. Ich nehme mir vor, beim nächsten Besuch zu wandern, das Schloss zu besichtigen oder den Brocken zu besuchen. Stillschweigend weiß ich aber genau: das mache ich nicht. Wenn ich erst einmal wieder gefangen bin vom akustischen Dunst der Großstadt, dann vermisse ich nur die Ruhe.

Wernigerode, meine Heimat, wir sehen uns wieder und dann empfange mich bitte wieder mit diesem wundervollem Lächeln.



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