Dienstag, 24. Juli 2012

Deutschland, deine große, extreme Landschaft


Liebes Deutschland,

wir müssen reden. Dabei weiß ich nicht einmal, ob Du mein richtiger Ansprechpartner bist. Es betrifft so viel: Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und die Menschen. Vielleicht muss ich auch einfach nur mit mir selber reden. Aber irgendwo muss ich anfangen, deswegen schreibe ich Dir diese Zeilen.

Ich mag es in Dir zu leben. Du bist bunt, anspruchsvoll und voller Leben. Aber da ist etwas, dass mich stört und ich endlich aussprechen muss. Es macht mich rasend, denn scheinbar verlierst Du Deine Einwohner, wenn auch nur die Bindung zu ihnen. Gleichzeitig zerreißt Du Dich selber. Komm mal bitte wieder zu mir zurück.

Der Grund warum ich Dir schreibe: Ich habe das Gefühl, dass Du nur noch extrem und groß kennst. Dies beschämt mich, da ich als kleiner Mensch mir umso unbedeutender vorkomme. Bin ich Dir nur in der Masse etwas wert?

Du möchtest Flughäfen bauen und dabei immer neue Grenzen durchbrechen, sei es nun in Berlin, Frankfurt oder München. Sie müssen größer sein, noch mehr Landebahnen haben und Nachflugverbote soll man auch nicht mehr kennen. Ich weiß, liebes Deutschland, wir sind jetzt in einer globalisierten Welt. Du tauschst Dich aus mit Amerika, Asien und den Rest von Europa. Irgendwo ist immer Tag. Aber ich muss doch auch einmal schlafen, oder etwa nicht?

Bahnhöfe müssen riesig sein oder gleich unter der Erde verschwinden. Warum nicht einfach denken? Selbst die Bahnstrecken versuchst Du ganz gerade durch massiven Berg zu zimmern statt den Umweg in Kauf zu nehmen. Und gleichzeitig sollen nicht mehr die kleineren Städte bedient werden? Warum hängst Du mich ab vom Rest von Dir? Willst Du mich verstecken? Bin ich Dir peinlich?

Wenn Du von der Energiewende sprichst, dann immer nur von riesigen Netzleitungen, Kraftwerken und Speichertechniken. Du hast die Metropolen im Blick, die Industrie, die Wirtschaft und den gemeinen Privathaushalt. Aber ich bin nicht in diese letzte Kategorie zu drücken, liebes Deutschland. Nimm mich bitte Ernst; nicht nur mit meinen Sorgen, sondern auch mit meinen Wünschen.

Warum musst Du immer solchen Größenwahnsinn ausleben? Ist es Dir nicht mehr genug in vielen kleinen Schritten etwas großes zu schaffen? Muss es immer das riesige Monument sein mit dem Du gegenüber Deinem weltlichen Freundeskreis glänzen kannst? Musst Du immer die Bilder in den großen Medien haben von Dir und Deiner neustes Errungenschaft? Komm doch bitte wieder runter und löse Probleme von unten. Und bitte sprich mit mir. Ich möchte hier leben und mit Dir alt werden. Aber gib mir bitte die Möglichkeit mit Dir im Einklang zu leben.

In Deinen Zeitungen wird ein Thema stets heruntergebrochen auf die Frage “Ja oder Nein?”. Wo ist der Inhalt, die Erklärung und die sachliche Diskussion? Will man dann doch mal dort ansetzen, springst Du einen Tag später gleich weiter. Du begibst Dich in eine Hektik, die Dir auf Dauer nicht gut tun kann, da Du nur reagierst, statt zu agieren. Ich mache mir Sorgen um Deine Gesundheit. Tue Dir diesen Stress bitte nicht an. Er macht Dich krank und führt irgendwann zu falschen Entscheidungen die schwerwiegende Folgen haben.

Auch weiß ich, dass Du noch mehr Sorgen hast. Deine Brüder und Schwester in der europäischen Familie haben Krisen. Wir alle haben Familienmitgliedern mit Problemen. Der eine trinkt viel, der andere lässt sich scheiden und ein dritter ist stark verschuldet. Aber wir stehen immer zu der Familie und helfen einander. Bitte nimm Dir diese Zeit, denn die Familie ist nicht zu ersetzen. Stehe ihnen bei und hilf ihnen. Du erwartest dies doch auch von der Familie, wenn Du Probleme hast, oder?

Liebes Deutschland, Du bist meine Heimat. Ich möchte Dir zu gerne etwas Gutes tun, aber Du musst mir schon zuhören und auch wieder mehr für mich da sein. Ich halte Dir die Treue, versprochen. Denn uns verbindet mehr als große Bauprojekte, ein bisschen Erde und ein Dokument mit unseren Namen. Es ist die gemeinsame Vergangenheit, die wir haben und das Gefühl füreinander. Wenn ich an die Zukunft denke, sehe ich Dich an meiner Seite. Ich würde nun gerne wissen: Siehst Du mich auch an Deiner Seite?

In Liebe,
ein Einwohner.

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